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Pascale Berthier Herzog : Tolatis, die Wende eines Pferdes (Kapitel 1, 2, 3, 4, 5 )
Dies ist eine fiktive Geschichte.
*Alle Ähnlichkeiten mit existierenden oder früher existierenden Personen ist… bedauerlich und, leider für die Pferde, oft nicht vermeidbar.
.
Vorwort:
Diese Situation hätte niemand vorhersehen können, trotz der knallharten Kalkulation für das zukünftige Leben dieses Hengstes, wusste wohl der Besitzer, dass dies die günstigste und effizienteste Lösung sein wird…für jede Partei.
Wie es dazu kam, darf ich vertraglich nicht verraten.
Die Gegenpartei: Reiter und Besitzer, müssen mit mir kooperieren, was das Wohl und das Training von Tolatis betrifft.
Ich darf aber diese Geschichte auch in der Öffentlichkeit erzählen. Ich soll nur ein paar Details, auch über Tolatis, nicht unbedingt verbreiten.
Kapitel I
Angekommen.
Tolatis ist – wie man im reiterlichen Milieu sagt – ein Pferd sehr nah am Blut. Das bedeutet für uns, dass er oft lieber über der Erde wäre, als sie einfach entspannt zu beschreiten. Sein Bewegungsvermögen ist noch dazu so spektakulär, dass seine bislang erfolgreiche Sportkarriere darin bestand zu lernen, wie man sich unterwirft, ohne seine Gesundheit zu verlieren und seine Gehlust zu mindern. Es funktionierte… bis zu diesem Zeitpunkt, wo er plötzlich von jeglicher viereckigen Fläche verschwand: Dressurplatz, Podium, Bildschirm.
Nach 5 Stunden Reise ist Tolatis heute bei uns angekommen. Um genügend Ruhe zu haben, sind der Fahrer Fred Lob und sein Reiter Myke Guten während der Nacht gefahren.
Tolatis verhielt sich recht ruhig und konnte hier bei uns schon gegen 9:00 Uhr seine ersten Schritten im Hof laufen.
Bei uns hier ist alles recht klein, gegenüber dem was Tolatis schon kennt und Myke hat ihm erstmals vorsichtig die Anlage gezeigt. Ich begleitete die Beiden zu unserer naheliegende Koppel, denn Tolatis soll lernen sich auf der Koppel frei zu bewegen, ohne deren Grenzen in Frage zu stellen. Dabei erteilte ich Myke schon die erste reiterliche Lektion, die man verstehen sollte, bevor man auf einen Pferd steigt: die „main-fixe“, oft als „fixierte Hand“ übersetzt.
Was heißt das überhaupt?
Es bedeutet, dass der Führstrick beim Führen des Pferdes ohne Probleme und Widerstand durchhängen sollte….fast wie eine unnötige/unsichtbar gewordene Verbindung zwischen Mensch und Pferd.
Und, bevor dies so ist, soll die Spannung am Führstricke nur vom Pferd verursacht werden und auch dann, nur vom Pferd wieder losgelassen werden.
Die Hand des Menschen führt, aber die Härte dieser Führung entscheidet das Pferd selbst.
Und, glaubt mir, alle Pferde mögen lieber eine sanfte Führung! Die „main-fixe“ gibt dem Pferd eine gewisse Entscheidungsfreiheit zurück…und die Pferde lieben es so behandelt zu werden!
Wie vertraglich verpflichtet, war Myke von der ersten Stunde an kooperativ und hielt die Stricke ganz genau so, wie ich ihm empfahl.
Tolatis, immer noch lernfähig, lies relativ schnell alle mögliche Widerspenstigkeiten sein. Und nach einer Stunde, lies er sich sogar ganz angenehm führen: die Haltung seines Halses hatte an Stabilität gewonnen, damit fing Myke an lernwillig zu werden. Auch er ist ein hochsensibler Reiter und ihm wurde jetzt klar, dass die Körperhaltung seines Pferdes an der Hand, sich auch auf die Rittigkeit seines Pferdes übertragen wird.
Ich habe vor ihm grosse Achtung: Diese Situation ist nicht ohne. Er, ein überaus erfolgreicher Dressurreiter und ich, Ausbilderin eher in der Kontroverse… und er soll das tun, was ich ihm sage.
Würde man mich vertraglich zur Praxis der Rollkur zwingen wollen, so würde ich mich genauso seltsam fühlen. Aber, was ich anbiete ist, das Pferd zu befreien, allerdings mit dem Risiko, dass man danach weniger „Kontrolle“ über es besitzt. Die Rollkur ist dagegen – empfinde ich – koerzitiv.
Aber, dem Gros der Reiterei, gelingt die Leistung eines Pferdes nur mit Hilfe der 100%igen Kontrolle über dessen Körper und seine Psyche. Damit ist schon das Gefühl einer Minderung dieser Kontrolle so verunsichernd, wie sich unter dem Eiffelturm im August nachmittags nackt zu zeigen! Oder?
Ich frage mich sowieso: kann man durch 100%ige Kontrolle überhaupt einen echten Partner finden?
.
Kapitel 2
Was bisher geschah…:
Der berühmte Tolatis ist bei uns angekommen. Sein Reiter, Myke Guten, hat ihn begleitet und bereits begonnen sich und das Pferd an der Hand „umzustimmen“.
Unsere 4 Mérens-Pferde sind zur Zeit ca einen Kilometer weit weg auf der Koppel.
Einer davon, der friedliche Meknes, ist aber wieder zu Hause, um Tolatis Gesellschaft zu leisten.
Die Mérens-Pferde sind, wie Tolatis, Rappen. Allerdings besitzen sie keine Abzeichen, bis auf einen Stern eventuell, aber die vier Socken von Tolatis wird hier wohl niemand bemerken. Die meisten Reiter in meiner Umgebung pfeifen regelrecht auf meine Ausbildung und die paar wenigen Anderen sind echte Schüler von mir und damit Freunde.
Also, ein Mérens mehr oder weniger…fällt in unserem Ort nicht auf und wir können ohne Sorge unser Reitprojekt fortsetzen.
Gleichartige Gesellschaft ist wichtig für die Psyche eines Pferdes. Aber wenn Pferde nur als Sportgeräte dienen, dann wird oft jegliche Zusammenkunft vermieden. Es ist bequemer und sicherer für die „Gerätebenutzer“ und deren Versicherungen. Aber hier erlauben wir uns das!
Natürlich müssen wir dafür die nötigen und progressiven Maßnahmen ergreifen, um diesen Kontakt zwischen Meknes und Tolatis vernünftig aufzubauen.
Fred, der Pfleger von Tolas -wie er ihn nennt- hilft dabei sehr gefühlvoll.
Nun gut, aber lassen wir wieder den reiterlichen Aspekt in den Vordergrund treten:
Ich weiß, dass Tolatis hier nicht sein restliches Leben verbringen wird, also muss die Revolution weiter geführt werden.
Wir werden jetzt erstmal Tolatis reiten und ich erzähle euch danach alles, sobald wir fertig sind.
So:
Ich habe Myke gebeten Tolatis zu satteln und zu trensen und ihn so zu reiten, wie er es üblicherweise getan hatte.
Was für Myke völlig neu war, war die „Grösse“ unserer „Reithalle“. Eigentlich nenne ich dieses Gebäude: mein Büro! Naja, mit 11 m x 15 m, ist das durchaus gerechtfertigt, denke ich!
Aber bis jetzt hat sich diese „Reitbüro“ als sehr hilfreich erwiesen, bevor man die größeren Flächen betritt. Mein Mann fährt dort sogar 2-spännig und kann problemlos 4-spännig Rein- und Rausfahren. Die Mérens-Pferde messen zwar weniger als 1,60 m Stockmass, aber es sind genauso Pferde…nur sind unsere Pferde alle gut biegsam.
Nun muss man wissen, dass Tolatis die Nacht gestern auf einem grossen Paddock verbracht hat. Ich denke, man sollte die reiterliche Lösungsphase für das Pferd an die restlichen 23 Stunden seines kompletten Tages anpassen.
Jetzt aber wieder zurück zu unserer Revolution:
Myke begann trotzdem Tolatis mit einem extrem raumgreifenden, langen, schnellen und -dadurch- passartigen Schritt zu reiten. Nach ein paar Minuten, frech wie ich bin, fragte ich ihn:
„Läuft Dein Pferd?“
Er schaute mich etwas unsicher und fragend an und trieb daraufhin Tolatis noch mehr an.
Wieder fragte ich:
„Ich habe nicht gefragt, ob Dein Pferd SCHNELL genug läuft oder ob es steht. Ich wollte nur wissen, ob es läuft?“
Lächeln antwortete er:
„Ja, es läuft.“
„Ok“, sagte ich, „ aber warum treibst Du denn immer wieder? Lass ihn doch bitte laufen, einfach so…ohne Schenkeleinwirkung.“
Myke tat es….und Tolatis, das erste Mal völlig auf sich allein gestellt, fing natürlich nach ein paar Tritten an langsamer zu werden, aber er lief immer noch und irgendwie fühlte er sich „höher“ an, teilte mir Myke mit.
Ich kann selbst nicht sagen dass er viel höher war, aber Myke gewann diesen Eindruck. Das Pferd muss, um sich optimal zu verlangsamen, seinen Hals stabilisieren und ihn nicht so extrem bei jeden Schritt dehnen lassen, damit wird der Rücken des Pferdes weniger flach. Es kann sein Becken besser nach vorne kippen lassen, was eine extreme Dehnung des Halses sehr stören würde. Ja, das lebendige Knochenmark ist eben kein Gummiband.
Die Sprunggelenke arbeiten besser und die Vorhand wird nicht mehr so belastet…das Pferd wird erhabener.
Nach ein paar Runden, ohne das Myke seinen Tolatis vorwärts getrieben hatte (immer hin!), fragte ich ihn, ob er jetzt traben könnte.
Jedoch bat ich ihn noch um etwas Geduld und schlug vor, dass er ein paar Bögen im Schritt reiten sollte. Dies versuchte er bereitwillig, aber überraschenderweise war es sehr schwierig für ihn.
Warum? Weil Myke gewohnt war (und eigentlich hatte er damit ja viel Erfolg gehabt) sein Pferd zwischen Händen und Schenkeleinwirkungen zu biegen.
Nun war aber Tolatis gerade eine Weile ohne Schenkelenwirkung gegangen und, sobald Myke seine Schenkel benutzte um Tolatis zu biegen, trabte er an. Sofort versuchte Myke das mit der Hand zu unterbinden und…Tolatis explodierte daraufhin wie eine Silvester-Rakete in den Händen ihres Entzünders!
Es war einfach…furchterregend!!! Der Schweiß lief mir plötzlich am Rücken entlang und durch seinen unbewussten Leichtsinn, fand ich, dass Myke in diesem Moment der mutigste Reiter der Welt war!
Ich schrie nur: „Halt dich fest, aber nur an EINEM Zügel! Und wechsle ab mit dem Anderen! BIIIITTTE!“
„Und atme tief aus!“ fiehl mir noch ein.
Tolatis, enttäuscht darüber, keine Anlehnung mehr für seine Kapriolen zu finden, beruhigte sich bald darauf.
Myke schaute mich mit gerötetem Gesicht an und sagte mit einem ruhigem Ton:
„Verstehst du jetzt, warum ich traben wollte?“
„Ja“, antwortete ich, „das verstand ich schon vor diesem Theater. Und du, verstehst du auch, warum du weiter im Schritt arbeiten solltest?“
„Nein, nicht wirklich,“ gab er zu.
„Nun gut,“ fuhr ich fort, „wenn das für dich ok ist, würde ich gerne selber sehen, ob Tolatis überhaupt in der Lage ist, sich im Schritt zu biegen. Darf ich ihn mal reiten?“
„Wenn du meinst, gerne.“
Ich war innerlich etwas unsicher, weil ich wusste, dass Tolatis eher eine Longenarbeit nach meine Art ( was ich J.C. Racinet verdanke) geholfen hätte, aber hier erschien es mir sinnvoller Myke von dieser Art der Reitausbildung zu überzeugen. Manchmal ist das wichtiger für die weiteren Folgen des Lernens, denn das Pferd wird es sowieso lernen, wenn man es lässt.
Die Menschen schulen sich um… .Die Pferde lernen…und lernen wieder. Das Gelernte wird immer da sein und ihr Körper entscheidet, was ihr Geist in die Mülltonne werfen soll.
Der Mensch hat dafür sein „Bauchgefühl“, leider hört er darauf nicht zu.
Auf alle Fälle wollte ich hier lieber versuchen Tolatis so zu übernehmen wie Myke ihn „hinterlassen“ hatte…eine Frage der Glaubwürdigkeit denke ich.
Ich ging schnell ins Haus um meinen Helm zu holen und ein paar anderen Schutzmaßnahme ergreifen. Als ich zurück kam, hatte Myke einige Schwierigkeiten einen Lachkrampf zu unterbinden: Ich sah aus wie ein American Footballer… es fehlte bloß das Gitter vor meinem Gesicht.
Im Gegenzug dazu, blieb Tolatis unerschütterlich.
Von einem Hocker aus (diese Dinge sind immer hilfsbereit), stieg ich in den Sattel. Myke hielt mir gegen, was mir noch mehr Sicherheit brachte.
Ich atmete tief durch und konzentrierte mich zu 250% auf Tolatis… .
Durch eine sanfte Andeutung meiner beiden Waden, lud ich Tolatis ein, im Schritt los zu laufen.
Ich musste schon sehr aufpassen, dass meine Beinen ihn nicht unbewusst berührten. In der Tat, die meisten Dressursättel auf dem aktuellen Markt sind alle eher ein Kerker für das Pferd und für den Popo des Reiters und seine Oberschenkeln. Mykes Sattel war da keine Ausnahme. Ich legte also meine Oberschenkeln etwas auf die Vorderpauschen, um diesen ständigen Kontakt mit dem Pferdebauch zu vermeiden.
Tolatis wusste jetzt nicht mehr, ob er weiter laufen sollte oder nicht. Ich lies ihn diese „Frage“ stellen, indem er anhielt. Als Antwort schickte ich ihn mit Wadeneinwirkungen sofort wieder in die Vorwärtsbewegung, das tat ich drei Mal und dies reichte um einen gewissen „Tempomat-Effekt“ zu erreichen.
Danach…kümmerte ich mich darum, seine Bewegungsrichtung zu steuern.
Ich begann auf der rechte Hand und brachte meinen rechten Zügel am Mähnenkamm zum Widerrist und -wie erwartet- Tolatis verließ die Bande nach rechts. Sofort ließ ich den rechten Zügel durchgleiten, bevor ich den Linken in Richtung Widerrist aufnahm. Und…Tolatis wendete wieder nach links an die Bande. Vorsichtig dosierte ich meine Einzelzügeleinwirkung so, dass Tolatis begann in Ruhe einen Handwechsel nur mit Hilfe eines Zügels zu gehen.
Der „eingestellte Tempomat“ hatte bis jetzt gereicht, aber plötzlich sprang eine unserer Katzen auf den Hocker am Rand des Hufschlags. Tolatis blieb ohne Aufforderung von mir stehen. Ich musste den Tempomat wieder einschalten: mit einer dosierten Einwirkung beider Waden, ohne dabei einen zusätzlichen Kontakt mit meinen Hände zu halten….Tolatis führte unsere Übung weiter fort.
Meinen Sitz war dabei ruhig, aber noch nicht so, wie ich es gerne haben wollte (Sitz der Alten Meister). Wie auch? In diesem Sattel-Kerker?! Ich achtete nur darauf, dass mein Gewicht und mein Blick in der Biegungsrichtung blieben.
Nach eine halben Stunde schaffte ich es ein paar Handwechseln aus dem Zirkel zu reiten, was in dieser Halle für Tolatis nicht möglich gewesen wäre, ohne sich dabei zu biegen.
Ich empfand damit die heutige Lektion als gelungen…zumindest für das Pferd. Ich hielt Tolatis an, stieg ab und lobte ihn ruhig und herzlich. Er drückte so eine Art Erleichterung aus.
Fred, der die ganze Zeit zugeschaut hatte, freute sich irgendwie.
Aber Myke war in diesem Moment ein bisschen enttäuscht und fragte:
„War es das schon für heute?“
„Ja“, antwortete ich, „Tolatis soll die restliche Zeit des Tages nutzen können, um zu entscheiden was in seinem Lernprozess Müll ist und was nicht. Das gehört auch zum Training, aber der Leistungsdruck, den die Pferde ertragen müssen, lässt uns das leider vergessen.“
Meknes wieherte Tolatis schon entgegen und die Sonne begleitete die Beiden in den Abend hinein.
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Kapitel 3
Was bisher geschah
Der berühmte Hengst Tolatis ist bei uns angekommen, wo ihm ein neues Reitpferdeleben und seinem Reiter Myke neue Trainingsmaßnahmen gezeigt werden sollen…einen anderen sportlichen aber gerechten Weg.
Nach einer explosiven Reaktion von Tolatis in unserer kleinen Reithalle, hat Myke es trotzdem geschafft im Schritt seine Hilfengebungen (Hände und Schenkeleinwirkung) zu minimieren, zu trennen und zu optimieren.
Heute früh genoss ich draußen ein paar, von der Wetterstation „ungeplanten“, Sonnenstrahlen. Mein Blick hatte sich gerade bei unseren fünf Tomatenpflanzen verloren. Ich dachte nach und fragte mich, warum dieses Jahr viele von unseren Tomaten und aus meinem Bekanntenkreis, grün geblieben sind. Will uns die Natur damit etwas mitteilen?
Plötzlich rief Myke: „Pascale! Kommst du mal bitte!?“ Er übte gerade in der Halle mit Tolatis.
Ich finde es wichtig für ihn eine Zeit der Probe alleine zu gestalten, wo ich nicht dabei bin. Es motiviert den Lernenden zu mehr Selbstvertrauen.
Ich ging quer durch den Hof und traf Myke und Tolatis in der Reithalle. Tolatis trabte entspannt, nicht zu schnell und das alles nur mit der Einwirkung eines Zügels.
Wir waren zwar noch weit vom reiterlichen Ziel entfernt, aber ich freute mich, dass Myke sich auf so etwas eingelassen hatte. Für mich war damit klar: er ist jetzt vollkommen in der Lage die alte Gewohnheiten loszulassen um besser forschen zu können. Damit hat er sich sogar, ohne es zu ahnen, Zugang zur Welt des Baucherismus geschaffen…!
„Mensch!“ bewunderte ich ihn, „ihr seid Beide einen ganz schönen Schritt weitergekommen! Tolatis geht vorwärts-abwärts und dadurch ziemlich auf der Vorhand. Es scheint ihm aber so zu gefallen.“
„Ja, und das ist jetzt das Problem“, beschwerte sich Myke, „Ich müsste ihn normalerweise viel mehr ran nehmen, um ihn wieder im Gleichgewicht zu haben. Aber ich denke das soll ich wahrscheinlich gerade nicht mehr tun, oder?“
„Ja, das ist wahr Myke. Atme tief aus und halte bitte an. Wir müssen reden“, lächelte ich ihn an.
Myke atmete lässig aus und hielt Tolatis damit an.
Um die Natur im Allgemeinen oder die eines Wesens zu beobachten, müssen wir ihr genauer auf den Grund gehen…sie unter die Lupe nehmen. Ich bat also Myke abzusitzen um näher fühlen zu können, was die Natur von Tolatis hier beeinflussen kann.
Ich nahm die Zügeln und bat Myke, den hinteren Schulterblattrand von Tolatis anzufassen. Tolatis stand dabei mit dem Hals über der Horizontalen. Myke musste seine Hand sehr unter den Sattel drücken um es überhaupt zu schaffen. Dann, durch eine Zügeleinwirkung nach oben, lud ich Tolatis ein seinen Kopf nach unten zu senken.
„Und? Wie ist es jetzt? Immer noch so schwierig?“
„Nein“, stellte Myke fest, „es ist viel einfacher.“
„Also“, argumentierte ich, „verstehst du jetzt, warum Tolatis es so mag? Und die Tiefe mit seinem Hals sucht?“
Jetzt schnallte ich an der Trense den Sperriemen weg und lockerte den Nasenriemen. Ich griff diesen, um damit den Pferdekopf in eine solche Aufrichtung zu bringen, in der das Genick von Tolatis der höchste Punkt war.
„Und da? Wie ist es da?“, erkundigte ich mich.
„Oh! Da geht es jetzt gar nicht mehr!“, bemerkte Myke.
Und in diesem Moment war für den jungen Mann klar geworden, was ihm die Natur seines Pferdes mitteilte: „So gesattelt, kann ich ohne Zwang nicht in Aufrichtung gehen“.
Und das ist der Grund für das Verhalten, auf der Vorhand gehen zu wollen bzw zu müssen.
Man kann so etwas bekämpfen, indem man versucht die Hinterhandbewegung noch raumgreifender zu erarbeiten…so kann das Pferd wieder eine Art Balance haben.
Ernsthaft erklärte ich weiter: „Ich denke, genau DAS hast du (und viele Andere) bis jetzt getan. Aber durch diese raumgreifenden Gänge treibst Du das Pferd eskalierender Weise noch mehr auf die Vorhand und bist dem Rat gefolgt, dass Pferd dazu zu zwingen seinen Hals zu überrollen. Und, so körperlich komprimiert, zwischen einer Hinterhand, die nach vorne drückt und einem Genick, das nach hinten zeigt, kann das Pferd tatsächlich seinen Widerrist auch unter diesen Umstände anheben…was hier zwar mechanische, aber sehr spektakuläre Gänge zu erzeugen hilft. Um eine bestimmte Trainingsart zu bestätigen, ist das mal keine schlechte Idee…so lange das Pferd so etwas Gefährliches für seine Gesundheit ertragen kann. Aber muss das sein? Wie wäre es, wenn man den Grund, warum ein Reitpferd auf der Vorhand laufen möchte, im Voraus lösen könnte?“
Myke schaute mich immer misstrauischer an.
„Wenn das möglich wäre, würde man in der reiterliche Sphäre, in welcher ich mich seit langer Zeit befinde, es schon wissen!“
„Myke, es sind da andere Spiele am Werk als nur „Wissen“, sagte ich mit einem flüsternden aber entschlossenen Ton, „es gibt eine ganze Industrie, die von diesem angeblichen Wissen oder eher Unwissen lebt. Sogar die Leute, die deine Handlung mit Tolatis, in allen möglichen Reitforen hart kritisieren, praktizieren manchmal eine ähnliche Reiterei wie Du. Nur, diese Leute haben Deinen Leistungsdruck oft nicht, deswegen tun sie es etwas „netter“. Sie dienen aber wie du dem gleichen Markt.“
„Gut!“, unterbricht er mich, „machen wir weiter. Zeigst du mir bitte, wie Du die Vorhand von Tolatis im Voraus befreien kannst?“
„Oh! Im Voraus!?“, sagte ich, „ so etwas hätte jetzt sicherlich Konfuzius sagen können: Die Frage brütet fast immer die Antwort aus. Chapeau Myke! Chapeau! Sattele jetzt bitte Tolatis ab“, bat ich schmunzeln, „und ich hole meinen Sattel.“
Kapitel4