Soeben erschienen! Neu im Herbst 2010

Schulpferd und Gebrauchspferd.
Faverot de Kerbrech – Rul – Boisgilbert:
Die beiden Ausbildungslehren von François Baucher, nach seinen allerletzten Anweisungen
Cadmos Verlag
Herbst 2010

frbsmall

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Zum Inhalt:


GENERAL FAVEROT DE KERBRECH

«Dressage méthodique du cheval de selle. D’après les derniers enseignements de F. Baucher, recueillis par un de ses élèves» (1891)
(Die systematische Ausbildung des Reitpferdes. Nach den letzten Unterweisungen von F. Baucher, zusammengestellt von einem seiner Schüler, in meiner bereits publizierten Übersetzung)

und
Joseph Louis Gabriel RUL

«Progression méthodique du dressage avec un simple filet de tous les chevaux de la cavalerie» (1870)
(Der Aufbau der systematischen Ausbildung des Kavalleriepferdes. Ausschließlich mit einer einfachen Trense, bei allen Pferden anwendbar)

(Deutsche Erstübersetzung)
sowie
BOISGILBERT (Jean-Charles DUBOIS)
«Baucher et l’équitation d’extérieur. Ses dernières instructions» (1909)
(Baucher und die Gebrauchsreiterei. Seine letzten Anleitungen)
(Deutsche Erstübersetzung)

„Baucher hat zwei Methoden gelehrt. Die eine war schwierig,  verlangte in der Anwendung viel Feingefühl und konnte heikel sein, … die andere war in der Praxis einfacher … und sollte als Vorbereitung für die Hohe Schule dienen…Die zweite Methode steht in scheinbarem Widerspruch zur ersten.“
So beginnt Jean-Charles Dubois (Boisgilbert) seinen Text über die Ausbildung des (wie wir heute sagen würden) Sport- oder Freizeitpferdes.

L’Hotte hat beide Methoden verwendet, gelehrt und vor allem die „einfachere“ richtungsweisend in Saumur und in der französischen Kavallerievorschrift zur Geltung gebracht. Neben ihm ist zweifelsohne Faverot de Kerbrech derjenige unter den französischen Meistern, der beide Methoden Bauchers am genauesten gekannt hat. Von ihm stammen auch die bekanntesten Texte zu diesen Ansätzen, die zwei Schriften, die seit jeher, sowohl auf Französisch wie auch auf Deutsch, immer in einem Band zusammen herausgegeben worden sind.

Dass von deutschen Reitern diese „scheinbare Widersprüchlichkeit“ der beiden Methoden zueinander nicht wirklich erkannt bzw. niemals kommentiert worden ist, überrascht wenig, da die Auseinandersetzung mit Baucher seit dem Ende des 19. Jahrhunderts notorisch als ad acta gelegt betrachtet worden ist. Damit mag diese mangelnde Aufarbeitung weitgehend erklärt sein, es muss aber dennoch unterstrichen werden, dass es dem „systematischen“ bzw. „methodischen“ Denken (wie die beiden existierenden deutschen Übersetzungen von Faverot es ausdrücken), das auch der deutschen Doktrin, wenn auch in anderer Form, sehr am Herzen liegt, „suspekt“ hätte erscheinen müssen: Es gab doch einerseits ein so komplexes und sicherlich langwieriges Vorgehen, wie von Faverot beschrieben, andererseits aber hat Baucher bekanntlich auch z. B. sehr viel erfolgreichen Unterricht in einem Kursus von 30 Reitstunden gegeben hat. Es ist (und war) deutschen Lesern französischer Schriften zwar immer klar, dass die Prinzipien anders (ja, anderartig wenn nicht gar eigenartig) sind, aber nicht klar geworden ist, worin diese Eigenartigkeit besteht.

Diese Problematik ist nicht vorrangig „theoretisch“. Zerebrales, ja selbst wohlgemeintes „emotionales“ Auf- und Erarbeiten der französischen Reitweise tut nur wenig zur Sache: In der Praxis, vor allem in der Methodik und Technik der Pferdeausbildung bewahrheitet und verwirklicht sich der tatsächliche Grad des erreichten Verständnisses.

Das deutsche reiterliche Denken fußt auf einer anderen Konzeption des Methodischen: Es stellt sich den Verlauf der Ausbildung als einen linear akkumulativen Prozess dar, im Sinne der „klassischen“ Vorstellung, dass die Schulreiterei die höchste erreichbare Stufe und damit der Prototyp allen Reitens sei. Nach dieser Anschauung würden alle „niedrigeren“ Formen des Reitens  weniger erreichen, erreichen können und zu erreichen brauchen und daher eine geringere Reiterei darstellen.

Das französische reiterliche Denken konzipiert dies anders. Unter dem Einfluss der Entdeckungen von François Baucher meint man, dass es eine Methode gibt, mithilfe derer jedes Pferd, was auch immer die von ihm verlangten Dienste sein mögen, lehrbar und verwendbar gemacht, d.h. vor allem entspannt zu arbeiten instande gesetzt werden kann … und alle „höheren“ Formen der Ausbildung und Reiterei, z. B. das Manègereiten, sind daher ein zusätzliches Mehr, wobei aber eben schon alle „niedrigeren“ Formen überhaupt erst dann erfolgreiches Ausbilden und Reiten darstellen, wenn das Wesentliche bereits erreicht ist. Ein Reiter der imstande ist, das Pferd entspannt, also ohne Widerstände zu arbeiten, kann alles; ein Pferd, das ohne Widerstände arbeitet (bzw. dessen Widerstände aufgehoben werden können), kann alles in seinem Vermögen Stehende erlernen. Dieses Wesentliche, dieses zuerst zu Erreichende, dieses principium ist das Hauptaugenmerk französischen Reitens; „Endresultate“ bzw. Errungenschaften höchsten Niveaus haben für die équitation française damit nicht denselben Status wie für das deutsche Reiten.

Die hier angesprochene Problematik kann auch so ausgedrückt werden: Ist alles Reiten „eins“? (Ein wohlbekanntes bonmot, mit dem meist gemeint ist „mein Reiten ist richtig, Deines falsch“) Und wenn ja, sind seine Kriterien „von oben“, deduktiv, aus denen der „höchsten“ Errungenschaften abgeleitet? Oder werden umgekehrt die „niedrigsten“ Anforderungen – so paradox es klingen mag – als die „höchsten“, weil wichtigsten, fundamentalen Eigenschaften des reitbaren Pferdes definiert? Bis über das Ende des Barocks hinaus bleibt die Frage praktisch ungelöst: de Andrade z.B. beschreibt explizit Hilfengebungen der „Hohen Schule“ die sich zutiefst von denen der „einfachen“ Reiterei (estardiota) unterscheiden, ihnen manchmal diametral entgegengesetzt sind;Hünersdorf versucht eine Annäherung über die Vereinfachung der Ansprüche, Mittel und Techniken des „hohen“ Ideals (und bringt die Finanzen der Monarchie an den Rand des Abgrundes, weil der Pferdeverlust enorm ist). Mit dem Ende der Epoche des „Luxusreitens“, in der ideale Pferde unter musterhaften Reitern den Rahmen für die gültigen (niedergeschriebenen) Methoden schufen, mit der Veränderung der kavalleristischen Notwendigkeiten und dem Anbruch des zivilistischen Reitens der Moderne, musste das Denken über das Reiten sich zusehends an die reellen Gegebenheiten der neuen Zeit anpassen: wie sollten auch mittelmäßige Pferde und mittelmäßige Reiter zurecht kommen, bei allerlei neuen Bedürfnissen? (Und im Zug dieser vielfältigen Demokratisierung konnten Offiziere, Berufsreiter, die zwei- und vierbeinige crème de la crème, natürlich weiterhin ihren „klassischen“ Idealen frönen – aber musste mit der „Anglomanie“, dem beginnenden Sportreiten, der Konskriptionskavallerie nicht anders darüber gedacht werden, was nun „Reiten“ und daher Ausbilden bedeuteten?)

Da der „kleine“ Text von Faverot de Kerbrech Die Ausbildung des Geländepferdes, obwohl (oder weil) dem Haupttext zur Systematischen Ausbildung des Reitpferdes beigebunden, die beiden Methoden und ihre Techniken in ihrem Unterschied nicht erkennbar genug vermittelt hat – denn alles weist darauf hin, dass deutsche Leser ihn weitgehend als eine Wiederholung des Inhaltes des ersten Textes angesehen zu haben scheinen – , wurde für die neue Ausgabe entschieden, ihn durch die Texte von Rul und von Boisgilbert (Pseudonym von Jean-Charles Dubois) zu ersetzen. Hier werden die Letzten Anleitungen von François Baucher, angewendet auf das (im heutigen Sprachgebrauch) Sport- und Freizeitpferd, in einem anderen Ton und „krasser“ dargestellt und die „einfachere“ Methode, eben jene, die im Denksystem des französischen Meisters das Eigentliche eines ausgebildeten Pferdes erreichbar macht, wird ersichtlich.

Für Reiter „deutscher“ Denkart werden diese neuen kurzen Texte nicht nur im Technischen wahrscheinlich überraschend sein (nicht zuletzt deswegen, weil hier deutlich wird, wie „offen“ die baucheristische Lehre sein kann), sondern auch ein Anlass und Zugang zu einer anderen Grundkonzeption der reiterlichen Systematik, zu einem anderen Realismus der Auseinandersetzung mit Pferd und Reiten, der sich jeder Reiter zu stellen hat, wenn er/sie sich nicht, unter dem Druck eines wirklichkeitsfremden Idealismus, z. B. von Kriterien der „Hohen Schule“, zum beinahe unabwendbaren Misserfolg verdammen will.

Der Cadmos Verlag  hat die Bedeutung dieser Werke – besonders im Kontext der z.Z. herrschenden „Schuldiskussion“ – erkannt und übernimmt den Haupttext (Faverot de Kerbrech)der ursprünglich für den Arbeitkreis Legerete Bochum als Privatausgabe angefertigten Übersetzung. Rul und Boisgilbert werden hier zum allerersten Mal ins Deutsche übersetzt vorgelegt.

Vielen Dank an den Herausgeber und Übersetzter Dr.Kristen von Stetten

Kategorie: News