Susanne und Cortijero

Die Reiterei ist eine Passion, der Wunsch nach Harmonie und Einheit im Umgang mit dem Pferd ein Virus.

Es gibt zwei Möglichkeiten der Infektion: die Eine ist harmlos, schmerzfrei und geht üblicherweise schnell wieder vorbei, ohne Risiken und Nebenwirkungen.

Die Andere nimmt einen anderen Verlauf: Anamnesen meist nicht ausreichend, Diagnosen vielfältig und nicht standardisiert, ohne ein klassisches Patentrezept. Man lernt, lernt und lernt- leider nicht immer von wirklich guten Pferdemenschen und Ausbildern, denn die, so musste ich feststellen, sind rar gesät-, und fängt ab einem gewissen Punkt an, selbst hinzuschauen und selbst zu denken: offen, kritisch und zum Wohle des Pferdes. Diese Form der Infektion bezeichne ich als Passion.

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Auch ich habe irgendwann einmal angefangen – wie alle Reiter, die vom Pferdevirus infiziert werden; das war vor ca. 37 Jahren.1972 machte ich meine ersten Reiterfahrungen auf einer Lipizzanerstute und wurde mit der zweiten Sorte Virus infiziert.

1979 fing ich an, mein erstes eigenes Pferd auszubilden. In Anlehnung an die klassische Dressurausbildung wurde daraus im Laufe der Jahre ein zuverlässiges, bis S-Dressur ausgebildetes und auch im Gelände sicheres Reitpferd und zusätzlich ein guter Freund.

Wie gesagt, auch ich ging durch die klassische Skala der Dressurausbildung.

Nachdem ich die  Basisausbildung absolvierte, die Grundbegriffe der Reiterei gelernt und verschiedenste Pferdetypen trainiert hatte, fing ich an, selbständig zu denken, seit Jahrzehnten geltende Reitervorschriften der Sportdressur zu hinterfragen und mir die Antworten bei meinen Pferden und späterhin auch bei meinen Schülern einzuholen. Ich stellte für mich fest, dass die in Deutschland und vielen Teilen Europas übliche Art der modernen Sportpferdeausbildung nicht mit meinem Sehen, Denken und Fühlen übereinstimmte. Für mich standen die Bedürfnisse des Pferdes, eine pferdegerechte Ausbildung mit viel Geduld und für das Pferd ausreichend Zeit unter Berücksichtigung seiner Anatomie und Psyche im Vordergrund.

Deshalb entschied ich mich auch 1997 für einen anderen Typus Pferd: einen Andalusier.

Cortijero

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Diese Rasse ist bekannt für ihre Sensibilität, ihre Arbeitsbereitschaft und ihren freundlichen Wesenszug und Fähigkeit, einen engen Bezug zum Menschen aufzubauen. Sie erfordert aber auch und gerade deshalb ein großes Gespür für Gemütszustände zwischen Unverständnis und Leistungsbereitschaft, Angst und Mut, Sanftheit und Temperament – dieser Grad kann sehr  schmal sein. Diese Pferde wollen in ihrer Wesensart erkannt werden.

Cortijero  war fünf Jahre alt und nicht gerade klassisch ausgebildet: ein typisches Korrekturpferd. Ich erkannte jedoch hier eine gute Chance, ihn zu korrigieren, und der Gedanke Nuno Oliveiras galt auch für mich: die Wahl eines Pferdes ist zunächst eine Liebesaffaire.

Wichtig bei dieser Korrekturarbeit ist es, sich genug Zeit zu lassen und Geduld zu haben, viel Fordern, wenig erwarten und mit guten Schritten zufrieden sein, damit das Pferd die Korrekturschritte verstehen kann. Ich fing an, mit ihm an der Hand zu arbeiten, um erst mal Vertrauen vom Boden aus zu bekommen.


Die Arbeit unter dem Reiter mußte ganz von vorne beginnen. Er mußte lernen, loszulasssen, zuzuhören und sich zu entspannen. Er machte gute Fortschritte und nach einiger Zeit kam die Arbeit an der Doppellonge dazu. Auf einigen öffentlichen Auftritten konnte er dann zeigen, was er gelernt hat. Ausgelernt hat er jedoch noch lange nicht und mit seiner positiven Arbeitseinstellung macht es großen Spaß mit ihm zu arbeiten.

Susi4Susi3 Susi5Im Sommer 2000 lernte ich den Illustrator Siegfried Lokau kennen, der von Cortijero dann diese beiden Aquarelle malte.

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Seit mehr als 25 Jahren gebe ich nun meine Erfahrungen weiter. Die unterschiedlichsten Rassen, vom Dülmener Pony bis zum Hannoveraner, erhalten eine Ausbildung in der klassischen Dressur nach den Prinzipien der Légèrté.  Großen Wert lege ich dabei auf die Arbeit an der Hand. Sie klärt die Beziehung zwischen Reiter und Pferd und schafft Vertrauen auf beiden Seiten. Sie sensibilisiert und gymnastiziert das Pferd. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Doppellongenarbeit, auch als Vorbereitung zur Arbeit am langen Zügel. Sie sichert den Gehorsam des Pferdes auch dann, wenn die Distanz zwischen Besitzer und Pferd sich vergrößert hat. Auch wenn die meisten Reiter bisher nur wenig davon gehört haben, sind sie doch nach kurzer Zeit davon überzeugt, daß diese Arbeitsweisen eine sinnvolle Ergänzung zu ihrer reiterlichen Ausbildung darstellen. Sie lernen Geduld zu haben und die Psyche ihres Pferdes besser zu verstehen. Für Interessierte kann das Repertoire dann noch um die “zirzensischen Lektionen” erweitert werden. Aber gleichgültig, ob sie den Schwerpunkt mehr auf die eine oder die andere Disziplin legen, sollte die Freude an der Arbeit mit dem Pferd im Vordergrund stehen.

Und weil die Reiterei einen lebenslangen Such- und  Lernprozess darstellt, beschritt ich diesen Weg weiter.

Susi9 Susi8Und als wunderschönen Beweis des Vertrauens kann es Ihnen dann gelingen, daß Ihr Pferd sich z.B. ganz gelassen ,in einer fremden Umgebung, vor Publikum, neben Sie in den Sand legt. Susi10Susi11

Susi13 Susi15Susi14 Susi12 Im Spätsommer 2006 lernte ich Pascale Berthier kennen. Da mich Baucher schon immer sehr interessierte, ich aber keine Informationen über die Umsetzung seiner Methoden in der heutigen Praxis hatte, war das ein großes Glück für mich!

Susi16 Wir pflegen einen intensiven Austausch und durch sie lernte ich auch Jean-Claude Racinet kennen, mit dem sie schon seit einigen Jahren arbeitete. Im Sommer 2006 durfte ich ihn auch persönlich kennen lernen. Mit Mitgliedern unseres Arbeitskreises besuchte ich ein Seminar in der Oberlausitz, im Herbst dann ein 2.

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Am 2. und 3. Oktober 2007 war es dann soweit: Jean-Claude Racinet kam zu mir zum Training!!

Susi18 Trotz Nieselregen hat es großen Spaß gemacht, mit ihm zu arbeiten.

Nachdem er sich zuerst über uns ein Bild gemacht hatte, begannen wir am “ gemessenen Schritt“ zu arbeiten. Weitere Schwerpunkte waren das Rückwärtstreten, der Galopp und der Weg in die „halben Tritte“ .

Susi19 Zwischendurch konnte sich Cortijero auch einmal mit dem Meister unterhalten!! 🙂

Seine ruhige, feine Art mit den Pferden zu arbeiten und sich ihnen verständlich zu machen, begeistert mich immer wieder .

Susi21Susi20 Susi22 Im Mai 2008 durfte ich ihn für ein weiteres Seminar nach Bochum holen und auch noch einmal auf meinem Platz mit ihm arbeiten!

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Am 5. Mai 2008, diesmal bei Sonnenschein, war Herr Racinet wieder bei uns. Auch für mich als Ausbilderin mit eigenen Schülern ist der Austausch und die Weiterentwicklung unerlässlich, und dieser Mensch hatte soviel zu erzählen, mitzuteilen und weiterzugeben aus einem unerschöpflichen Wissens- und Erfahrungsfundus in der Reiterei, der Osteopathie und des  Verständnisses Pferd –er bot mir eine bis dato für mich einzigartige, umfassende und ganzheitliche Sichtweise der Pferdeausbildung.

Wir besprachen die Entwicklung der letzten Monate und aufgetretene Probleme: Cortijero blockierte im Laufe des Winters immer wieder im Genick. Herr Racinet zeigte mir, wie ich die Blockade lösen kann und mein Pferd arbeitete wieder sehr zufrieden und locker. Ich bekam viele neue Tipps für seine Ausbildung. Einen ganz lieben Dank an Herrn Racinet für diese interessante Lektion und an Pascale Berthier für die Hilfe bei der Übersetzung!

Susi27jpgSusi26Susi25Susi24Susi23 Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nicht wissen, dass es leider die letzte persönliche Lektion sein würde. Sein Tod hat mich zutiefst getroffen und eine große Lücke hinterlassen, aber er hat soviel Wertvolles und  Wissenswertes bzw. Notwendiges und Unabdingbares für die Reiterei hinterlassen und seine Lehren werden meine Arbeit begleiten und immer wieder bereichern.

Und somit bin ich dankbar für die kurze Zeit und äußere meine Hochachtung und meinen Respekt vor diesem einzigartigen Menschen, auch wenn ich mir selbst gewünscht hätte, noch viele Jahre der Zusammenarbeit und des Austausches gehabt haben zu können.

Es sind nicht Zeit, Häufigkeit und Regelmäßigkeit, die Begegnungen zwischen Menschen ausmachen, sondern ihre Einstellung, an Gleiches zu glauben, Ihre Energie, „Gutes“ weiterzuentwickeln und Ihr fester Wille, sich einer Sache mit ganzem Herzen zu widmen, für diese einzustehen und sie letztendlich voranzutreiben. Es ist die Erkenntnis und Offenbarung im Augenblick um des Wissens einer besonderen Verbundenheit, welche uns offen macht und teilhaben lässt.

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Pascale Berthier – Vertraute und Schülerin Jean Claude Racinets – und ich pflegten und pflegen auch noch heute,fast zwei  Jahre nach seinem Tod im April 2009 einen intensiven Austausch.

Die Verbundenheit zu diesem großen Menschen und seiner Arbeit  und der tiefe Wunsch, sein Werk weiterleben zu lassen einzig und allein zum Wohl der Pferde, sind die Basis für diese besondere Freundschaft, die auch unabhängig von Zeit und Raum Bestand und Substanz hat. Und da ein persönlicher, offener Austausch und eine intensive gemeinsame Zeit, auch mit ehemaligen Racinetschülern, unbezahlbar sind, fuhr ich schließlich ein Jahr später für ein verlängertes Wochenende in die Lausitz.

Pascale stellte mir ihr „Artelleriepferd Meknes“ zur Verfügung, so dass ich Cortijero die lange Fahrt ersparen konnte – arbeiten und lernen kann man mit jedem guten Pferd und Lehrmeister überall!

Übungen zur Balance und weitere Feinabstimmung in und zur Versammlung waren mein Wunsch gewesen

Wir arbeiteten daher z.B. an der Vor-und Hinterhandwendungen und am diagonalen Verschieben auf leichtetste Hilfen.

Es hat viel Freude gemacht, mal wieder so intensiv mit Pascale zu arbeiten:

„ Ich danke Dir, liebe Pascale!“

Lausitz 2010

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Wenn nicht mit den Pferden gearbeitet wurde, saßen wir gemütlich zusammen, sprachen über die vergangenen Seminare mit Herrn Racinet und was sich in der Zwischenzeit daraus entwickelt hat.

Natürlich war die Zeit wieder viel zu kurz, aber in Gedenken an Maitre Racinet werden wir diese Treffen pflegen und traditionell jährlich wiederholen.

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Fortsetzung folgt

Liebe Grüße

Susanne

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