Seminar mit Jean-Claude Racinet Mai 2008 in Oderwitz

Ein Bericht von Marion Schlenzka

 

Seit 5 Jahren besuche ich regelmäßig Kurse mit Jean Claude Racinet und habe nun zum dritten Mal gemeinsam mit meinem 19 Jahre alten Trakehner Archar an einem dieser seltenen und wertvollen Reitseminare teilgenommen. Die Ausbilderin und Reitlehrerin Pascale Berthier war Gastgeberin auf ihrem wunderschönen Hof in der Oberlausitz, mit einer kleinen, jedoch für die Arbeit an der Versammlung äußerst nützlichen Reithalle. Im Laufe der Jahre ist mir auch der freundschaftliche und schöpferische Austausch mit den Kursteilnehmern und Zuschauern ganz besonders ans Herz gewachsen. Am zweiten Abend haben wir uns zu einem lustigen Grillabend zusammengefunden und für einige Stunden auch den Übersetzer Dr. Christian Kristen und seine Lebensgefährtin in unserer Runde begrüßt.

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Archar ist ein Pferd, das von Natur aus nicht unbedingt ein Talent für die Versammlung mitbringt. Körperbau und Lebengeschichte machen es ihm nicht leicht. Sein Geist und die hohe Sensibilität können das demütigende Vorwärts-Abwärts Reiten nicht ertragen. Das ich mit und durch Archar den Weg des Feinen Reitens von Herrn Racinet eingeschlagen habe, ist für mich mittlerweile eine logische Konsequenz unserer 7 jährigen gemeinsamen Zeit.

Herr Racinet stellt zunächst eine Blockade im Widerrist fest und versucht sie durch Manipulation und Flexionsübungen zu lösen. Die erste Stunde beginnen wir mit dem gemessenen Schritt – eine Übung die Archar seit 2 Jahren kennt und ihm erstmals ermöglich hat, für die Versammlung den Widerrist aktiv anzuheben. Wie Pferde in einem stark verkürzten und zeitlupenhaften Schritt den Widerrist anheben und warum das anfangs nicht in schnelleren Gangarten möglich ist, habe ich in den Kursen und Büchern von Herrn Racinet gelernt und verstanden. Es ist eine verbreitete Unwahrheit, dass der Schritt eine undynamische Gangart ohne ausbilderischen Wert sei !

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Im Schritt wie im Halt fordere ich immer wieder die Kieferflexion. Sie steht im Zentrum des Reitens in Legerete und wird in der neuen Übersetzung des Faverot de Kerbrech selbst als die Legerete bezeichnet.

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Mit den Worten „… das machen Sie sehr gut, Marion, aber wir müssen leider diesen schönen Zustand zerstören“ geht es nun zum Trab über, später in Kombination mit dem Rückwärtsrichten und sofortigem Wiederantraben – unter stetigem Abfragen der Kieferflexion. Dabei beginnt Archar nach und nach die Kruppe abzukippen und leicht zu senken, beugt die Hanken, trabt schließlich rund an und erlaubt mehr und mehr das Gleitenlassen der Zügel. Als Ergebnis dieser Übung wird er immer leichter in der Hand und gelangt in die Legerete, die nun gleichermaßen am Ende wie am Anfang steht, Ausgangspunkt und Resultat zugleich ist.

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Die Unterrichtseinheiten der Kurse dauern 1 ½ Stunden, so dass genug Zeit für Pausen, zum Nachdenken und für Fragen bleibt. Ich finde, dadurch entsteht eine entspannte und respektvolle Atmosphäre die Vertrauen schafft und eine gute Grundlage für das Lernen ist. Herr Racinet wird niemals müde, nach Erklärungen und bildhaften Vergleichen zu suchen und wendet sich stets gleichermaßen an die Zuschauer und seine Schüler.

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„Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten des Rückwärtsrichtens“, sagt Herr Racinet. Hier demonstriert er eine davon. Die Zügel werden gemeinsam auf den Widerrist gedrückt und gleichzeitig wird durch kurze Einwirkung mit dem Sporn hinter dem Gurt (hier durch Pascale) das Rückwärts „gezündet“. Sobald das Pferd rückwärts tritt, gibt die Hand augenblicklich nach und lässt den Zügel gleiten.

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„Walzer tanzen“ am letzten Kurstag – Archar geht im gemessenen Schritt auf der Mittellinie und wechselt von der Übung der Renvers-Pirouette in die Übung der Umgekehrten Pirouette und umgekehrt.

In der Renvers-Pirouette dreht sich das Pferd um die Vorhand auf der Stelle und ist leicht in die Bewegungsrichtung gebogen, also in Traversstellung. In der Umgekehrten Pirouette dreht sich das Pferd um die Hinterhand auf der Stelle – entgegengesetzt der Bewegungsrichtung gebogen, also in Schulterhereinstellung. Somit entsteht ein „Walzertanz“ durch welchen sich das Pferd stark auf die Hinterhand setzt und den Widerrist anhebt.

Der Nutzen der Umgekehrten Pirouette wird von Herrn Racinet so erklärt: Das Pferd lernt im Schulterherein u.a. die Vorderbeine zu kreuzen. Erst danach soll es den Travers erlernen u.a. als Vorbereitung auf die Pirouette. Ohne die schwierigere Traversstellung und deren Risiken kann das Pferd in der Umgekehrten Pirouette in Schulterhereinstellung lernen, die Vorderbeine stark zu kreuzen und um die Hinterhand zu wenden.

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Zum Abschluß geht für mich ein Traum in Erfüllung – der Beginn einer Piaffe. Ich fühle wie Archar bei diesen wenigen Tritten rund bleibt, den Widerrist oben behält und sich setzt. Er hebt Kopf und Hals nicht nach oben heraus wie so oft in allen früheren Versuchen. Mir wird jetzt bewusst, dass Herr Racinet in unseren 3 Unterrichtseinheiten ganz didaktisch die Voraussetzungen dafür geschaffen und Archar und mich systematisch an diesen Punkt geführt hat. Und das in so kurzer Zeit! Nach dieser Stunde spüre ich eine tiefe Verbundenheit mit meinem Pferd, das mir soviel geschenkt hat.

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Die Erkenntnisse aus Reitkursen verblassen mit der Zeit und gehen oft wieder verloren, gerade wenn man am Anfang steht und die Zahl der Unterrichtsstunden gering ist. Dieses schöne Erlebnis bleibt trotzdem für immer in meiner Erinnerung. Für mich ist das eine andere und neue Dimension des Reitens. Meinen großen Dank an Herrn Racinet !!

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Kategorie: Racinet Seminare