NACHRUF AUF JEAN-CLAUDE RACINET von Patrice Franchet d’Espèrey

NACHRUF AUF JEAN-CLAUDE RACINET

Patrice Franchet d’Espèrey

Écuyer am Cadre Noir, Saumur

Was wir alle von denen zu bewahren hoffen, die von uns gegangen sind, das ist das ihnen Eigentliche: ihre menschliche Zuneigungsfähigkeit, Wärme und Güte, ihr praktisches Wissen und ihre Einsichten, ihr schieres Können und Feingefühl. Wohl aber auch, bezogen auf die Schwierigkeiten, die wir selbst zu lösen haben, die Art und Weise, wie sie, die nun nicht mehr unter uns weilen, diese sahen, wie sie darüber dachten und nachdachten und wie sie sie lösten. Wenn wir also ein Weiterleben der von uns Geschiedenen ersehnen, so ist es immer ihr Geist, den wir bewahren wollen.

Jean-Claude Racinet hat seinen Abschied von der Welt zu Pferd begonnen. Sein gesamtes Leben und sein Ende sind unter dem Zeichen der Verbindung mit dem Pferd gestanden. Er gehört der Linie der Reitmeister des Baucherismus an, jener Reitphilosophie, deren Essenz darin besteht, Schritt für Schritt über das doktringebundene Denken hinauszuwachsen und einen eigenen Methodenweg zu finden. Das ist Racinet gelungen. Aufbauend auf der ostheopathischen Lehre von Dr. Giniaux hat er der Reiterwelt bekannt gemacht, mit welchen Mitteln die diversen Techniken der Hilfengebung der „mise en main“ auf rationale Weise verwendet werden können, um auf alle Gelenke und alle körperlich-mechanischen Zusammenhänge des Pferde einzuwirken und damit jene Verspannungen zu vermindern, die dem optimalen Zusammenspiel in der Bewegung im Wege stehen.

Racinet war der lebende Beweis dafür, dass der Baucherismus ein offenes Denksystem ist, zu dem jeder Meister des Reitens seinen ganz persönlichen Beitrag machen kann, innerhalb dessen jeder Reiter hohen Kalibers seine eigene Note der technischen Ausführung erfinden kann. All das, was dazu führt, dass sich das Pferd aufgrund der Handlungen des Reiters entspannt, ist im Rahmen des Baucherismus akzeptabel, denn der Baucherismus ist stets neu zu erfinden, ja, er existiert eigentlich eben dadurch, dass er immer neu geschaffen wird. Außergewöhnliche oder spektakuläre Bewegungen, die in ihrer Bildung und Entwicklung nicht auf der Erziehung des Pferdes beruhen, auf seiner Verfeinerung den Hilfen gegenüber, und deren Ausführung unabhängig von den Hilfen abläuft, interessieren den Baucheristen überhaupt nicht, denn ein solches Reiten wäre nichts anderes als ein mechanisiertes Handeln nach Schablonen. Mit einem Wort, der Baucherismus ist eine Denkweise, in der die Vielfalt des technischen Vorgehens denkbar, ja erlaubt ist, ein Humanismus, dem die persönliche Entwicklung des Reiters, das Wohlbefinden des Pferdes und dessen Bewahrung ein zentrales Anliegen ist.

Jean-Claude Racinet war ein solcher Humanist, er hat die Prinzipien der französischen Reitweise bis zum letzten Atemzug verkörpert und verteidigt, und als solcher bleibt er unvergessen.

Patrice Franchet d’Espèrey, écuyer am Cadre Noir auf der Stute „Constellation“

©Alain Laurioux

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©Patrice Franchet d’Espèrey

©Übersetzung: Christian Kristen von Stetten

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Einen herzlichen Dank an Dr. Kristen von Stetten der uns diesen Nachruf zur Verfügung stellt!

Kategorie: News