Vorher – nachher

Was hat sich alles geändert
seit der Légèreté? Ein persönlicher Erfahrungsbericht

 

 

Ein Bericht von Tanja mit Ergänzungen von Dani

Vorher – nachher

Früher war ich ein Dressurreiter ganz nach „FN-Manier“. Ich hatte eine S-Dressurreiterin als Reitlehrerin und ihr ehemaliges Turnierpferd als Lehrmeister. Folgende Dinge waren für mich normal (haben schließlich alle so gemacht) und gehörten dazu, z.B.:

Vorher

  • Bodenarbeit– was ist das?
  • Aufsitzen natürlich vom Boden aus, mit Höckerchen ist nur was für ungelenke Reiter
  • Reiten ohne Handschuhe ging nur bedingt, meist bekam man von den Zügeln Blasen am Ringfinger
  • Gurtzügel waren super, man konnte sich richtig an dem kleinen Ledersteg festhalten, damit das Pferd einem nicht die Zügel aus der Hand zerren konnte
  • Mit Leichttraben habe ich das Pferd gelockert und gelöst, mindestens 15 bis 20 Minuten (fast am Stück, nur wenige Schrittpausen)
  • Tempo machen! Das Pferd soll ja nicht einschlafen, sondern fleißig sein!
  • ein Pferd muß, genauso wie der Reiter, nach der Stunde naßgeschwitzt sein, erst dann hat man seine Sache gut gemacht (ist doch schließlich Sport!); das Schwitzen am Hals zeugte von besonderer Anstrengung und guter Arbeit; ich bin im Winter sogar teilweise nur mit T-Shirt geritten und fand mich als Supersportler!
  • Daß ein Pferd beim Reiten äppelte, war ganz normal. Aber dabei durfte es natürlich auch nicht stehen bleiben, wenn das in der Prüfung passieren würde!
  • Wenn es mal nicht so klappte, hatte der „Bock“ wohl wieder keine Lust. Also energischer reiten und sich durchsetzten!
  • Überhaupt energisch vorwärts abwärts reiten! Hilfszügel fand ich doof (brauchten nur Anfänger), aber ein Halsverlängerer war ok
  • Longieren mußte man ab und zu, aber meistens hab ich das gemacht, wenn ich keine Lust zum Reiten hatte, und das war auch die Aufgabe des Longierens: Bewegung für das Pferd, wenn der Reiter nicht reiten konnte / wollte. Und dann am besten Ausbinden beim Longieren (war mir aber zu aufwendig, dann kann man ja auch reiten..)
  • Jeden Tag mußte das Pferd mindestens eine Stunde bewegt werden
  • Hinter dem Zügel reiten, also der dritte Halswirbel als höchsten Punkt, war zwar nicht ganz ok, aber immer noch besser als über dem Zügel zu reiten! War ja nur ein bißchen hinter der Senkrechten…
  • Gebiß war auf jeden Fall die einfach oder zweifach gebrochene Wassertrense, alles andere ist viel zu heftig fürs Pferdemaul! Erst mit der L-Dressur hab ich eine Kandare benutzt (und war stolz wie Oskar, jetzt „gut genug“ zu sein).
  • Das Reithalfter war ein kombiniertes mit Nasenriemen und Sperrriemen, relativ eng verschnallt. War eben so.
  • Pferde gehören eingedeckt?! War ich noch nie ein Freund von, man greift zu sehr in den Wärmehaushalt des Tieres ein und sie können deutlich mehr ab, als wir Menschen… Aber wenn die anderen das alle machen?!?!
  • Ich habe eine Gänsehaut vor lauter Entzücken bekommen, wenn ich Spitzensportler der Dressur im Fernsehen oder live erleben durfte!
  • Reiten ist Sport
  • Gelkissen waren Standard, denn das Pferd ließ sich nicht aussitzen und hatte ständig Rückenprobleme.
  • Pferde sind schreckhafte Wesen und draussen vor der Papiertüte scheuen oder wild buckelnd losrennen war normal.
  • Pferde gehören nicht den ganzen Tag auf die Weide, denn dort können sie sich verletzen und werden träge, so dass man nicht mehr mit ihnen arbeiten kann.
  • Pferde trampeln einem auf die Füße, rennen beim aufsteigen los und knabbern an einem rum…
  • Jedes zweite Pferd hat eine Allergie, koppt, webt etc. Spinnen halt alle irgendwie….
  • Runterfallen gehört dazu. Vor allem beim Ausbilden junger Pferde.
  • Pferde ausbilden bitte Profis überlassen.
  • Ein Reiter hat keine Angst.

 

und jetzt, durch eine andere Einstellung, Reitweise und Sichtweise ganz im Sinne der Légèreté, ist alles anders:

Nachher

  • Vor dem Reiten kommt immer erst die Bodenarbeit zum Lösen und Lockern, Dehnen und Strecken und zum ersten Kennenlernen der heutigen Stimmung von Pferd und Reiter; die Körpersprache des Reiters (bzw. des Führenden) ist dabei sehr wichtig. Bei sehr gut ausgebildeten Pferd ist die Bodenarbeit nicht immer zwingend notwendig zum lösen, Grundsätzlich in den ersten Ausbildungsjahren aber absolutes Muß!
  • Aufsitzen nur vom Höckerchen aus, ist deutlich rückenschonender fürs Pferd und für den Reiter bequemer
  • Reiten geht problemlos ohne Handschuhe! Ziehen an den Zügeln ist verboten! Nur Impulse geben oder locker „klingeln“. Wichtig! Zügel müssen rutschen können. Sensitive Wahrnehmung wird geschult
  • Leichttraben macht keinen Sinn! Es stört die Balance und hat zum Lösen keinen Effekt. Lösen und entspannen wird erreicht durch die Kieferflexion (siehe „Baucher“), nicht durch Aufstehen aus dem Sattel (Pferd fällt auf die Vorhand)
  • Einrollen ist absolut zu vermeiden! Einrollen ist mit Tierquälerei zu vergleichen, die Gleichgewichtsorgane werden abgeklemmt, man raubt dem Pferd die wichtige Weitsicht (ist doch ein Fluchttier!) und der Kopf-Hals-Arm-Muskel wird verkürzt (vgl. P. Karl). Leicht über dem Zügel ist deutlich besser, das Pferd soll sich selbst tragen und nicht die Reiterhand als fünftes Bein zum Ausbalancieren benutzen (Bent Branderup)!!!
  • Die Hilfen sind Hilfen, nicht ständiges Geziehe und Geklopfe! Nur für Korrekturen bzw. Änderungen der Gangart/Lektion werden Hilfen eingesetzt, nicht zum erhalten
  • Das Pferd ist grundsätzlich ein williges freundliches Wesen mit sanften Augen. Führt es eine Lektion nicht aus, hat es entweder die Hilfe des Reiters nicht verstanden oder es kann es einfach nicht (falsche Hilfe, Reiter macht Fehler, Wirbelblockade, falscher drückender Sattel/Zaumzeug oder ähnliches, psychische Verfassung, Lernprozess, Entwicklungsstand). Da es keinen Laut hat, um Schmerzen zu äußern, muß man genau forschen, worin die Ursache liegt
  • Die Trense bzw. Kandare wird nicht eng verschnallt, auf Kehlriemen und Sperrriemen verzichten wir ganz. Sollte das Pferd mit einem Gebiß Unbehagen verspüren, oder es nicht annehmen versuchen wir ein anderes. Die meisten fühlen sich mit einer Stange wohler als mit einer einfach gebrochenen Wassertrense, da diese wie ein Nußknacker in den Gaumen spiecksen kann! Mit einer Stange kommt Ruhe ins empfindliche Pferdemaul.
  • Da eine Trense ein Pferd aufrichtet und eine Kandare es in die Tiefe schickt, ist das Reiten mit Trensenwirkung und Kandarenwirkung sinnvoll, um das gewünschte Lösen des Maules und der Muskeln des Pferdes zu erreichen. Das Pferd sollte sich selbst tragen und somit seine Vorhand entlasten.
  • Wir benutzen eine dauerelastische Reitpeitsche– nicht um wild auf ein Pferd einzuprügeln, sondern um schwingende Impulse geben zu können.
  • Die Gerte wird gezielt an definierten Tuschierpunkten eingesetzt, je nach Bedarf. (Nicht auf die Kruppe gezischt).
  • Da die Dressur für das Pferd da ist (und nicht umgekehrt!!!) bauen wir durch viel Dehnungsübungen und Seitengängen (Schulterherein, Renvers, Travers) die Muskulatur und die Balance langsam auf. Dabei ist viel Schrittarbeit sinnvoll, Trab und Galopparbeit kommt Stück für Stück später dazu und in Maßen. Eine Lektion baut auf der anderen auf, klappt etwas nicht im Schritt, braucht man es im Trab gar nicht erst zu versuchen. Auch Doppellonge, Longieren und kleine Kunststückchen gehören dazu: abwechslungsreich, es soll ja Spaß machen
  • Das Pferd kommt meist ungeschwitzt wieder in den Stall, da das Schwitzen meist Streß bedeutet und unsere erste Priorität die Entspannung darstellt und wir dem Pferd keinen Streß machen! Es soll Spaß an der Arbeit haben und sich entspannen können. V.a. der Schweiß am Hals zeugt von großem Streß!
  • Unsere Pferde äppeln in der Regel nicht während des Reitens! Auch äppeln bedeutet meist, das Pferd hat Streß!
  • Longieren nur mit Serreta (lederummantelt), wir benutzen keinen Ausbinder! Ausbinder machen keinen Sinn (vielleicht mehr Schaden als Nutzen?…Bei einer individuellen Ausbildung findet das Pferd alleine die „Form“ und muß nicht hineingepresst werden), sie stören nur erheblich im Maul, wenn mal das Pferd Pferd sein will und übermütig seinen Kopf hoch wirft. Das ist doch toll anzusehen! Es lebt und ist keine Maschine!
  • Mit einer artgerechten Haltung (Pferde sind den ganzen Tag mit Artgenossen auf der Wiese oder großen Paddock und kommen maximal zum Schlafen in eine Box) „muß“ man die Pferde nicht jeden Tag reiten. Sie sind auch ohne den Menschen zufrieden und zeigen dies deutlich in einem gelassenen, ausgeglichenen Wesen. Ein Pferd sollte unter keinen Umständen anders gehalten werden, es gibt sich in Isolation und Boxenhaltung irgendwann auf oder wird aggressiv! (da macht auch die eine Stunde Reiten am Tag nichts wieder gut!)
  • Respekt gegenüber dem Pferd, in allen seinen Facetten. Nicht nur ein Weg führt zu dem gewünschten Ergebnis, sondern die Ausbildung sollte so schonend wie möglich auf die individuellen Bedürfnisse jedes Pferdes abgestimmt werden.
  • Lernen erfolgt überwiegend durch positive Verstärker, nicht durch Strafe oder negative Verstärker (gilt für Mensch und Tier)
  • Eine gemeinsame Ausbildung/ Förderung vom Team Pferd/ Mensch führt zu positiven Ergebnissen. Nicht nur das Pferd muss geschult werden, erst Recht der Besitzer!
  • Wenn heute Spitzensportler im Fernsehen Dressur zeigen, kann ich oft vor lauter Grausen nicht mehr zusehen. 
  • Reiten ist Kunst, eine Lebensphilosophie

 

Ich habe versucht, alle Bereiche ein bisschen zu umreißen, aber die Aufstellung könnte wohl endlos werden! Es sind so viele kleine Kleinigkeiten, die sich ändern, sobald man eine andere Einstellung hat und sein Pferd genau beobachtet, ob es ihm gut geht. Weil laut AUA schreien kann es nämlich nicht!